Bewegungswissenschaft
Interviewreihe - Eine Fakultät stellt sich vor #2„Die Corona-Pandemie ist in der Tat auch ein herber Schlag für die Antidiskriminierungsbemühungen.“Interview mit Verena Klusmann-Weißkopf, Leitung des Arbeitsbereichs Gesundheitswissenschaft des Instituts für Bewegungswissenschaft
29. Juli 2020, von Webmaster PB
Foto: Wohlfahrt/UHH
In der neuen Interviewreihe "Eine Fakultät stellt sich vor" stellen wir ab sofort jeden Monat einen Mitarbeiter unserer Fakultät PB vor, der mit uns seine neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse teilt, aber auch aktuelle gesellschaftliche Themen mit uns erörtert.
Frau Klusmann, Sie haben in Oldenburg studiert, zogen dann für Ihre Promotion nach Berlin und sind nach weiteren Aufenthalten in Konstanz und Bremen seit 2018 an der Universität Hamburg tätig. Wie würden Sie unsere Fakultät kurzumfassend beschreiben?
Ich schätze die vielseitigen sich ergänzenden Perspektiven an unserer Fakultät und die pragmatisch-unkomplizierte Atmosphäre. Man ist gerade heraus und direkt – das passt auch zu meiner norddeutschen Mentalität. Trotz räumlicher Trennung unserer Institute gibt es für den Austausch kurze Wege und auch für mein persönliches Profil kommt mir die Verzahnung von Psychologie und Bewegungswissenschaft inhaltlich sehr entgegen. Für meine Tätigkeit als Studiengangsleitung für die Gesundheitswissenschaften erlebe ich auch die Zusammenarbeit mit der Fakultätsverwaltung als sehr positiv und produktiv, sei es für Dinge wie gemeinsam durchgeführte Studiengangsreformen, Belange des Qualitätsmanagements sowie für das Alltagsgeschäft, die Gestaltung der Lehrangebots. Als sehr bereichernd sehe ich das strukturell vorgebahnte Fördern interdisziplinärer Zusammenarbeit auch bereits auf studentischer Ebene. Daher haben wir uns auch für eine noch stärkere Öffnung des gesundheitswissenschaftlichen Lehrangebots eingesetzt und zusätzlich zum allgemeinen im Lehramtsstudium vorgesehen Wahlbereich, im Zuge der jüngsten Studiengangsreform unseres Bachelorstudienganges einen weiteren fachspezifischen Wahlbereich etabliert. Dadurch haben die Studierenden der Gesundheitswissenschaften mehr Freiräume, ihr Studienprofil entsprechend ihrer individuellen Bedarfe und Interessen selbstbestimmt abzurunden. Insgesamt besteht eine höhere Durchlässigkeit und es gibt schlicht mehr Blicke über den Tellerrand der eigenen Disziplin. Letztlich trägt dies sicherlich für die Studierenden, aber auch für die in diesem Rahmen stärker zusammenarbeitenden Dozierenden zu einem größeren Wir-Gefühl nicht nur in der Forschung, sondern auch in der Lehre in unserer Fakultät bei.
In Ihren Forschungsarbeiten widmen Sie sich der Gesundheitsförderung über die Lebensspanne. An welchen Forschungsprojekten arbeiten Sie momentan?
Generell motiviert mich in meiner Forschung – ähnlich wie in meiner Lehre – ein hoher Bezug zu aktuellen gesellschaftlichen Herausforderungen. Während meiner Dissertation habe ich mich vor allem der Frage gewidmet, ob körperliche Aktivitäten und neues Lernen im hohen Alter einen Einfluss auf die allgemeine kognitive Leistungsfähigkeit besitzen. In nachfolgenden Projekten wie der Konstanzer Life-Studie beschäftigten mich vor allem Fragen nach den entscheidenden Mechanismen hinter der Dynamik der Aufnahme und Aufrechterhaltung von Aktivitätsverhalten: Wir konnten beispielsweise zeigen, dass die Erwartung unmittelbarer Gewinne wie Spaß und Freude an der Aktivität erheblich gewinnbringender sind, als sich langfristige Hoffnungen auf Fitnessverbesserungen und Krankheitsvorbeugung zu machen.
Aktuell beschäftige ich mich vor allem auch mit der Rolle von Altersbildern und leite seit rund 4 Jahren ein wissenschaftliches DFG-Netzwerk zu diesem Thema. Unsere Studien zeigen, dass Altersbilder für Gesundheit und Verhalten eine gewichtige Rolle spielen und das interessanterweise bereits für junge Menschen: Wer positive Vorstellungen vom Alter und positive Erwartungen an das Älterwerden hat, ist aktiver, ernährt sich gesünder und kümmert sich auch ansonsten besser um seine Gesundheit. Daher ist es nicht nur wichtig, älteren Menschen eine differenzierte Sicht auf das eigene Älterwerden zu ermöglichen, sondern auch gegen Altersstereotype und Altersdiskriminierung in jungen Jahren vorzugehen, da diese sich unmittelbar negativ auch auf die eigene Entwicklung auswirken und Gefahr laufen, zu sich selbst erfüllenden Prophezeiungen zur werden. Zentrale Ansatzpunkte sind das stärkere Verankern von Altern und Altersbildern in der gesellschaftlichen Debatte und sichtbar zu machen, wie unterschiedlich und facettenreich alte Menschen sind. Hierfür ist es wichtig, intra- und intergenerative Dialoge zu fördern, d.h. Menschen unterschiedlicher Altersgruppen ins Gespräch zu bringen und gemeinsame Reflexionen zu ermöglichen.
Die Corona-Pandemie trifft besonders die „Risikogruppen“ hart. Inwiefern spielt Altersdiskriminierung auch in den Debatten um die "Risikogruppe der alten Menschen" eine Rolle?
Die Corona-Pandemie ist in der Tat auch ein herber Schlag für die Antidiskriminierungsbemühungen. Alte Menschen wurden in der Debatte wenig differenziert vor allem als homogenes Risikokollektiv, als „die“ Gruppe der Alten betrachtet, die es zu schützen gelte. Ältere Menschen und auch Gerontologen wurden nicht sehr stark in die politischen Entscheidungen und Diskussionen einbezogen. Teils wurden Forderungen laut, ältere Menschen sollten zu ihrem eigenen Schutz isoliert werden oder sich selbst isolieren, Einrichtungen der Gesundheitsversorgung wie Pflegeheime wurden relativ streng abgeriegelt. Dass jedoch soziale Isolierung und Einsamkeit verheerende und potentiell fatale Folgen für ältere Menschen mit sich bringen, ist jedoch wissenschaftlich gut belegt. Auch konnte verschiedentlich gezeigt werden, dass das chronologische Alter für sich genommen kein besonders guter Prädiktor für den Gesundheitszustand ist. Die harten Maßnahmen des Lockdowns waren für viele Menschen eine große Herausforderung, teils waren und sind Existenzen bedroht – solche Extremsituationen wirken sich stets negativ auf Toleranz und Offenheit aus. Die Entwicklungen dürften demnach dazu führen, dass Ältere eher erneut zu wenig differenziert wahrgenommen werden und auch allein schon durch die äußeren Gegebenheiten weniger Begegnungen und Austausch zwischen Jung und Alt stattfindet, wenn z.B. der Kontakt zu den Großeltern eingeschränkt wird. Das Corona-Virus hat demnach nicht nur hinsichtlich des Erkrankungsrisikos bzw. der Schwere des Verlaufs eine altersdiskriminierende Wirkung, sondern auch ganz maßgeblich im zwischenmenschlichen und psychologischen Bereich. Auch im Mikrokosmos unserer Universität waren ja schwierige Entscheidungen zu treffen, z.B. als es darum ging, ob ältere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an ihren Arbeitsplatz gehen durften.
Zur Person
Verena Klusmann-Weißkopf studierte Psychologie in Oldenburg und promovierte 2010 mit einer Arbeit im interdisziplinären DFG-Graduiertenkolleg „Neuropsychiatrie und Psychologie des Alterns“ an der FU Berlin. Danach war sie als Postdoc an der Uni Konstanz tätig und vertrat anschließend für 2 Jahre die Professur Evidenzbasierte Gesundheitsförderung und Prävention an der Uni Bremen. Seit 2018 leitet sie den Arbeitsbereich Gesundheitswissenschaft am Institut für Bewegungswissenschaft in der Fakultät für Psychologie und Bewegungswissenschaft an der Uni Hamburg. Sie hat die Studiengangsleitung der Studiengänge Gesundheitswissenschaften für das Lehramt an berufsbildenden Schulen inne.