Bewegungswissenschaft
Interviewreihe - Eine Fakultät stellt sich vor #3„Die Psychotherapeutische Hochschulambulanz ist auch während der Pandemie geöffnet und bietet weiterhin Sprechstunden, Diagnostik und Psychotherapie an.“Interview mit Dr. Dipl.-Psych. Anne-Katharina Fladung, wissenschaftliche Mitarbeiterin und geschäftsführende Leiterin der Hochschulambulanz des Instituts für Psychologie
31. August 2020, von Webmaster PB
Foto: Wohlfahrt/UHH
Frau Fladung, nach Ihrer Promotion und mehrjähriger Anstellung am Universitätsklinikum Ulm sind Sie seit 2015 an der Universität Hamburg tätig. Wie lauten Ihrer Meinung nach die besonderen Merkmale unserer Fakultät?
Der Forschungsschwerpunkt der Fakultät beschreibt sehr gut, was ein besonders zukunftsweisendes Merkmal dieser Einrichtung ist: Die „Mechanisms of change“ im menschlichen Verhalten und Erleben führen derzeit kurzfristig dazu, dass alle Mitarbeiter und Studierende sehr beeindruckend auf die Corona-Pandemie reagieren: Unter besonnener Abwägung des Gesundheitsschutzes aller wird der Einsatz für vielfältigste Aufgaben in Forschung, Lehre, Verwaltung, Öffentlichkeitsarbeit und Zukunftsstrategie kompetent, engagiert und kooperativ aufrechterhalten. Um Wandel auch mittel- und langfristig nachzuvollziehen und konstruktiv zu beeinflussen, ist ein Verständnis der Psychologie als empirische Humanwissenschaft mit einer naturwissenschaftlich-experimentellen Ausrichtung besonders fruchtbar. Die Fakultät bildet das gesamte Spektrum wissenschaftlicher Psychologie und Bewegungswissenschaft in Forschung und Lehre umfassend ab, ist international ausgerichtet und forschungsstark, so dass auch dem wissenschaftlichen Nachwuchs beste Voraussetzungen für die Zukunft gegeben ist.
Der reformierter Bachelorstudiengang Psychologie wird nun doch zum WiSe 2020/21 eingeführt! Hamburg sorgt damit als eines der ersten Bundesländer sowohl für eine wichtige Erweiterung des Studienangebots, als auch für eine deutlich sozial gerechtere Ausgestaltung der therapeutischen Gesundheitsberufe. Wie haben Sie diese Entwicklung miterblebt?
Ich habe ja 1999 schon die Einführung des ersten eigenständigen Psychotherapeutengesetzes miterleben dürfen. Bis dahin wurden die Kriterien für die Weiterbildung von Psychotherapeuten durch die Kassenärztliche Bundesvereinigung festgelegt und nicht durch Experten in klinischer Psychologie. Psychotherapeuten mussten einen entsprechenden Facharzt finden und ihn um Delegation von Psychotherapie bitten. Die Einführung des Gesetzes 1999 beruhte sicherlich auf der enormen Professionalisierung, die die Psychologie seit den 1970er Jahren in Forschung, Lehre und Anwendung gemacht hatte. Das Delegationsverfahren wurde abgeschafft und Psychotherapeuten erhalten heute nach abgeschlossenem Universitätsstudium und einer Ausbildung in einem wissenschaftlich anerkannten Therapieverfahren die staatliche Zulassung zur Ausübung von Psychotherapie, die sie auch direkt als Leistung der gesetzlichen Krankenkasse abrechnen können. Seit 21 Jahren können wir den Gewinn für die Gesellschaft und insbesondere das Patientenwohl verfolgen. Mit der Zeit wurde aber auch Nachbesserungsbedarf deutlich: Die Ausbildung wird von den Kandidaten selbst finanziert, Praxisanteile sind stark unterbezahlt. Der Gesetzgeber hat darum Vorgaben zur Einrichtung eines reformierten Studienganges geschaffen, der eine sozial gerechtere Qualifikation ermöglicht und in den Grundzügen ein Festhalten an der bisherigen hohen Qualität der psychologischen und therapeutischen Ausbildung ermöglicht.
Der polyvalente Bachelorstudiengang bietet entsprechend vergleichbar attraktive Studienbedingungen in Grundlagen- und Anwendungsfächern, so dass Studierende aus der Breite des Faches ihr Vertiefungsprofil wählen und inhaltlich fundiert entscheiden können, welcher Masterstudiengang (in Hamburg kognitive Neurowissenschaften, Wirtschaftspsychologie oder eben die klinische Psychologie) ihren Interessen am besten entspricht.
Ich bin froh, dass sich die Wissenschaftsbehörde und die Universität trotz gestiegener Kosten durch die Corona Pandemie auf die Finanzierung dieses modernen Studienganges geeinigt haben. Am 14.8. kam die frohe Botschaft – am 1.9. tritt das Gesetz in Kraft– es war spannend! Hier haben v.a. die Studierenden durch klare Statements dafür gesorgt, dass ihre Interessen gehört werden. Mitarbeiter des Fakultätsmanagements, die Leitungen des Studiengangs und des Arbeitsbereichs Klinische Psychologie haben hier im Vorfeld wirklich viel bewegt. Ich hoffe, dass eine entsprechende Entscheidung auch für den Masterstudiengang Klinische Psychologie fällt, sodass wir in Hamburg eine attraktive Qualifizierung für die Approbation anbieten und damit mittelfristig eine qualitativ hochwertige, bedarfsgerechte und effektive Patientenversorgung sicherstellen können.
Können Sie uns einen kurzen Einblick in Ihre aktuellen Forschungsarbeiten geben?
Durch meine therapeutische Arbeit haben mich die klinisch relevanten Essstörungen schon immer interessiert. Essen gehört im weitesten Sinne zur Definition von „Leben“ schlechthin und der heute präsente Nahrungsüberfluss in unserer Gesellschaft scheint die Theorie des evolutionären Mismatch gut zu unterstützen: Obwohl wir keinen Mangel leiden, können viele Menschen nicht entspannt mit ihrer Nahrungsaufnahme umgehen, was manchmal zu physischen und psychischen Beeinträchtigungen führen kann. In Ulm hatte ich dann die Möglichkeit, Verarbeitungsprozesse im Gehirn erwachsener und jugendlicher Patientinnen mit Anorexia nervosa mittels bildgebender Verfahren zu untersuchen. Hier konnten wir zeigen, dass anorektische Patientinnen eine mit Untergewicht assoziierte Verarbeitung von Körperreizen gegenüber Normalgewicht präferieren – das zeigt sich in belohnungsassoziierten Regionen des Gehirns und im subjektiven Urteil. Normalgewichtige gesunde Kontrollpersonen zeigen das umgekehrte Muster, normalgewichtige Stimuli werden präferiert. Im weitesten Sinne scheint die Kombination von Diät und gesteigertem Bewegungsverhalten in bestimmten Situation möglichweise adaptiv und entsprechend verfolge ich hier in Hamburg gemeinsam mit meinen Kolleginnen Sandra Päpper und Asieh Tarami den Einfluss von Diäten und Bewegungsparametern auf die Verarbeitung körperassoziierter Reize weiter. In neuerer Zeit wurden außerdem spannende, genuin verhaltenstherapeutische Methoden entwickelt, Essstörungen mit Fokus auf den Prozess der Nahrungsaufnahme und das Bewegungsverhalten zu behandeln. Hier arbeiten wir in Kooperation mit dem Fachbereich Informatik an einer Softwareapplikation, die den häufig besonders schwierigen ersten Schritt in Richtung eines gesunden Essverhaltens unterstützen soll. Außerdem evaluieren wir eine Gruppenintervention, die zu einem weniger kognitiv kontrollierten und eher durch interozeptive Prozesse gesteuerten Ernährungsverhalten führen soll.
Die Psychotherapeutische Hochschulambulanz ist auch während der Pandemie geöffnet und bietet weiterhin Sprechstunden, Diagnostik und Psychotherapie an. Können Sie uns die momentane Arbeitssituation vor Ort beschreiben?
Als im März die pandemiebedingten Beschränkungen griffen, haben wir sehr schnell auf Videodienstanbieter zurückgreifen können, die einen datenschutzrechtlich gesicherten Patientenkontakt für die Psychotherapie möglich machen. Wir konnten so den Großteil unserer Patienten – dann im eigenen Wohnzimmer und nicht mehr persönlich im Therapieraum - erreichen. Es ist unseren Therapeuten und Therapeutinnen wirklich super gelungen, dieses neue – in technischer Hinsicht manchmal etwas widerspenstige - Setting konstruktiv für die Therapien zu gestalten. Betroffene, die nicht über eine entsprechende Infrastruktur verfügen, können ausnahmsweise dennoch zu uns in die Ambulanz kommen und werden unter Einhaltung der Hygienemaßnahmen weiter behandelt. Hier half auch die Orientierung an Vorgaben der Universität und der Hamburger Psychotherapeutenkammer, sowie die schnelle Zusage der Kostenträger, die Therapien unter diesen Umständen auch weiter zu finanzieren. Tatsächlich haben wir den Eindruck, dass therapeutisch hilfreiche Prozesse trotz dieser raschen Umstellung erfolgreich angestoßen werden können. Manchen Betroffenen scheint es tatsächlich leichter zu fallen, sich im Gespräch via Video zu öffnen. Die Bewertung der Auswirkungen von SARS-Cov-2 auf den Alltag des Einzelnen scheint sich recht unterschiedlich zu gestalten, mancher leidet unter neuen Sorgen, wenn beispielsweise der Arbeitsplatz bedroht ist, andere relativieren den Leidensdruck durch die psychische Störung oder erleben ein neues Gefühl des Zusammenhalts. Auch in diesen Zeiten betreiben wir weiter Therapieforschung und evaluieren unsere Therapien in der Ambulanz kontinuierlich, um weiterhin Aussagen über die Wirksamkeit unseres Tuns treffen zu können.
Zur Person
Anne-Katharina Fladung studierte Psychologie an der Philipps Universität in Marburg und promovierte anschließend im Rahmen eines Stipendiums der Christoph-Dornier-Stiftung für Klinische Psychologie im DFG-Projekt „Aufmerksamkeitskontrolle bei sozialer Phobie“. Parallel absolvierte sie die Ausbildung zur psychologischen Psychotherapeutin in Frankfurt und in der Ambulanz der Stiftung mit zusätzlicher Tätigkeit in der klinischen Neuropsychologie. Nach langjähriger Leitung der Klinischen Psychologie in der psychiatrischen Universitätsklinik in Ulm und folgend Leitung eines Ausbildungsinstituts für Psychologische Psychotherapie unter Trägerschaft der Universitätsklinik Ulm sowie einer Ausbildung zur staatlich anerkannten Supervisorin, ist sie seit 2015 Geschäftsführende Leiterin der psychotherapeutischen Hochschulambulanz und Dozentin an der Universität Hamburg.