Bewegungswissenschaft
Interviewreihe - Eine Fakultät stellt sich vor #10„Ich erforsche wie Menschen Entscheidungen treffen, und wie sich der Ablauf der mentalen Prozesse dabei mathematisch beschreiben lässt.“Interview mit Prof. Dr. Sebastian Gluth, Leiter des Arbeitsbereichs Allgemeine Psychologie, Institut für Psychologie
31. März 2021, von Webmaster PB

Foto: Wohlfahrt/UHH
Herr Gluth, Sie haben zum Wintersemester die Leitung des AB Allgemeine Psycholgie übernommen. Erzählen Sie uns ein wenig über Ihre Ankunft mitten in der Pandemie und die ersten Eindrücke, die Sie gemacht haben.
Nun, im Oktober letzten Jahres war die zweite Welle ja noch im Anrollen und man konnte sich noch ganz gut mit einigen Leuten treffen, sogar zum gemeinsamen Mittagessen. Ich wurde allerseits sehr herzlich begrüßt und habe auch meine „alten“ Kollegen vom UKE, wo ich ja promoviert habe, einmal besuchen können. Ab November wurde es dann doch deutlich stiller, und ich selbst war ab da die meiste Zeit im Home Office. Allerdings war ich mit der Vorbereitung der (digitalen) Lehre und der Einarbeitung in die Prozesse hier an der Universität auch derart beschäftigt, dass diese sonderbare Zeit sehr schnell vorbei ging. Jetzt ist die Einrichtung des Arbeitsbereichs schon ein gutes Stück vorangeschritten und ich freue mich darauf, bald so richtig loszulegen.
Worin liegen Ihre Forschungsschwerpunkte?
Allgemeine Psychologie ist ja ein weites Feld mit sehr vielen verschiedenen Teilbereichen. Ich selbst erforsche vor allem, wie Menschen Entscheidungen treffen, und wie sich der Ablauf der mentalen Prozesse bei Entscheidungen mathematisch beschreiben lässt. Dabei betrachten wir Entscheidungen jedoch immer auch im größeren Zusammenhang mit weiteren Denkfunktionen, wie Aufmerksamkeit, Gedächtnis und Lernen. Um beispielsweise Aufmerksamkeit beim Entscheiden zu messen, verwenden wir die Eye-Tracking Technologie. Wir zeichnen also auf, wie häufig und lange sich Menschen bestimmte Optionen oder Attribute anschauen und untersuchen dann, wie sich diese Fluktuationen auf die Entscheidung auswirkt.
Darüberhinaus interessiere ich mich auch sehr für die neurobiologische Verankerung unseres Denkens. Daher kommen in meinem Arbeitsbereich auch solche Methoden wie die funktionelle Magnetresonanztomographie (fMRT) und die Elektroenzephalographie (EEG) zum Einsatz. Das Ziel ist es, ein umfangreiches Bild menschlichen Entscheidungsverhalten zu erlangen.
Sie erhielten letztes Jahr den ERC Starting Grant, eine wichtige Förderung des Europäischen Forschungsrats (ERC). Das Projekt startete im Januar 2021. Welche Ziele haben Sie sich damit gesetzt?
Bei dem ERC Projekt „TrackingMinds“ geht es mir darum, Entscheidungen im sozialen und interaktiven Kontext zu untersuchen. Bisher haben die Proband*innen meiner Studien immer nur Entscheidungen für sich allein getroffen. Die wohl interessantesten, wichtigsten und leider auch mathematisch am schwersten zu beschreibenen Entscheidungen sind aber solche, die wir in Interaktion mit anderen Menschen treffen.
Etwas konkreter formuliert ist die zentrale Fragestellung des ERC Grants, wie Menschen aus dem Beobachten der Entscheidungen anderer Menschen wichtige Erkenntnisse gewinnen können. Wenn eine andere Person sehr lange für ihre Entscheidung benötigt, deutet das auf einen inneren Konflikt hin – und zusätzlich auch darauf, dass die Person die Entscheidung sehr wichtig nimmt. Wie gut Menschen darin sind, solche Schlussfolgerungen zu zielen, ist bisher aber kaum systematisch untersucht worden. Und welche kognitiven und neuronalen Prozesse bei diesem Schlussfolgern beteiligt sind, ist ebenso unklar. Ein weiteres Ziel besteht darin, die Erkenntnisse aus den empirischen Studien bei der Entwicklung der künstlichen Intelligenz anzuwenden: Wenn künstliche Systeme die Entscheidungsprozesse von Menschen berücksichtigen, sollten sie auf natürlichere Weise mit Menschen interagieren können. Hierzu ist auch eine internationale Kollaboration mit Computerwissenschaftlern geplant.
Was waren für Sie die wichtigsten Entscheidungspunkte, den Ruf der Universität Hamburg anzunehmen?
Zunächst hat mich an dem Ruf das sehr gute Angebot der Universität und der Fakultät gereizt, eine eigene Forschungsabteilung mit umfangreicher technischer Ausstattung inklusive EEG-Labor, Eye-Tracker und Hochleistungsrechner aufbauen zu können. Zum anderen schien mir bereits beim Vorstellungsgespräch eine sehr freundliche und gemeinschaftliche Atmosphäre am Institut vorzuherrschen, und dieser Eindruck hat sich bis heute bestätigt. Und zu guter Letzt ist es ja auch so ein bisschen home coming: Auch wenn ich nicht ursprünglich aus Hamburg stamme, so habe ich immerhin vier Jahre hier während meines Doktorats gelebt und die Stadt als äußerst attraktiv und spannend erlebt (meine Laune ist zum Glück wenig wetterabhängig). Jetzt muss eigentlich nur noch die Pandemie ein Ende finden, so dass man Hamburg wieder ohne Einschränkunen erleben und genießen kann.
Zur Person
Prof. Dr. Sebastian Gluth hat von 2004 bis 2009 Psychologie an der Humboldt-Universität zu Berlin studiert. Von 2009 bis 2013 promovierte er am Institut für Systemische Neurowissenschaften des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf. 2013 wurde er Postdoc an der Fakultät für Psychologie der Universität Basel und war dort seit 2016 Assistenzprofessor. Zum 1. Oktober 2020 hat er einen Ruf auf eine Professur an der Fakultät für Psychologie und Bewegungswissenschaft der Universität Hamburg angenommen, wo er dem Potenzialbereich „Neurowissenschaften und Kognitive Systeme“ angehören wird.